Und? Heute schon vor 'was weggelaufen?
„Die Teambesprechung war ja unerträglich, also ... da wäre ich am liebsten gleich abgehauen.“
„Frau Berger ist ja der Mann weggelaufen, vor zwei Wochen schon.“
Gut, dass wir so mobil sind. Wir setzen uns einfach in unsere Autos und hauen ab. Wenn wir in unangenehme Situationen oder langanhaltende, bedrückende Lebenssituationen geraten und merken, dass wir das Ruder nicht mehr rumreißen können, dann, … dann fliehen wir. Manchmal spontan, manchmal von langer Hand geplant. Auf den Autobahnen treffen wir dann die anderen Flüchtlinge, die die selbe Idee hatten. So entstehen dann die Staus.
Raus aus der gemeinsamen Wohnung. Raus aus dem, durch Routine leblos empfundenen, Alltag und rein in die neuen Freiräume, zur See oder einfach mal in die Nachbarstadt.
So bleiben wir einigermaßen im Gleichgewicht mit unserem sehr persönlichen Gefühl von Freiheit. Wir bestimmen, wo und mit wem wir wann glücklich werden wollen.
Wir sind ein Land der Reisenden, Suchenden, und Fliehenden. Wir verlieren uns dabei im Geschwindigkeitsrausch in unseren klimatisierten Autos, versinken jeden Tag in digitale Welten und fallen als Touristen in fremde Länder ein. Und das alles aus einer sicheren Basisstation heraus – unserer Heimat.
Was würden wir eigentlich tun, wenn unser Leben einmal ernsthaft bedroht würde?
Würden wir uns trauen, unser Land endgültig zu verlassen? Wie viel Angst müssten wir haben, dass wir unsere Familien und unsere vertraute Stadt ohne Hab und Gut verlassen? Welche Ereignisse müssten geschehen, dass wir diese Flucht auf einem alten Schiff, das viel zu viele Passagiere aufgenommen hat, wagen würden?
Wie groß müsste unsere Verzweiflung sein, wenn wir wüssten, dass vor unserer Flucht viele vergangene Fluchtversuche anderer Flüchtlinge im Tod endeten? Kann es Ereignisse geben, die uns dazu bewegen, alles aufzugeben, was mit uns tief verbunden ist?
Wie viel Dankbarkeit würden wir denjenigen Menschen schenken, die uns dann bereitwillig eine neue Heimat schenken würden?
Hier in Deutschland gibt es zur Zeit solche lebensfeindlichen Lebenssituationen nicht, aber in anderen Ländern dieser Welt.
„Wer nicht fliegen kann“ zerfällt an den Grenzen oder findet nur schwer eine neue Heimat in sicheren Ländern.
Wir sind sicher, allein für uns ...
Wer nicht fliegen kann · Markus Jöhring · 100 x 140cm · Acryl auf Leinwand · 6/2014